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[Instruktion betr. den Bau und die Bedienung des Triebwagens, A. Zweck u. Beschreibung des Wagens]
Art. 1.

Der neue Heißdampftriebwagen der Oe.-B.-B. dient hauptsächlich zur Führung von Personenzügen mit Beförderung von Gepäck, Eilgut und Post; er ist als Gepäckwagen gebaut, jedoch in seinem Innern derart eingerichtet, daß er in beschränktem Maße ausnahmsweise auch für Personentransporte benützt werden kann.

Art. 2.

Der Wagen besitzt einen Wagenkasten mit 2 Stirntüren und Uebergangstritten, einen großen Gepäckraum, vorn einen Kesselraum mit Führerstand, hinten eine geschlossene Plattform mit Seitentüren, welche gleichzeitig als zweiter Führerstand eingerichtet ist. Der Wagenkasten ruht auf dem Wagenuntergestell, welches sich durch 2 Drehzapfen und seitliche Stützplatten auf die beiden Drehgestelle abstützt. Das eine dieser letzteren trägt eine Zwillings-Antriebmaschine mit Kolbenschiebern und Heusinger-Steuerung, mit 2 angetriebenen Achsen. Der Kessel ist auf dem Wagenuntergestell gelagert; er ist ein quer zur Fahrrichtung gelagerter Lokomotivkessel normaler Bauart mit Kupferfeuerbüchse, Siede- und Rauchröhren mit Schmidtschem Kleinrohrüberhitzer. Das andere Drehgestell dient nur als Laufdrehgestell; beide Drehgestelle sind vermittelst der Westinghouse- und der Handbremse von jedem Führerstand aus bremsbar; außerdem ist im Gepäckraum ein Notbremshahn mit Manometer vorhanden.

Art. 3.

Im Kesselraum befinden sich außer dem Kessel mit 2 Wasserständen, Pyrometer, Dom, 2 Sicherheitsventilen, dem Armaturenstock mit den normalen Dampfentnahmeventilen und dem Kohlenkasten:

1  Speisepumpe mit Absperrventil und automat. Regulierventil;
1  Injektor;
1  Vorwärmer;
1   Heizungs-Ueberdruckventil mit Dreiweghahn;
1  Schmierpumpe für Cylinder- und Schieberschmierung;
1  Westinghouse-Luftpumpe mit automat. Druckregler;
1  Rohrreinigungsapparat mit Dampfventil;
1  Luftklappenzug;
1  Handzug für Schlammhahnen;
1  Kesselablaßhahn;
1  Beleuchtungstableau;
1  Werkzeugkasten.
Art. 4.

Im Führerstand und auf der hintern Plattform befinden sich:

  1. Regulator;
  2. Steuerung mit abnehmbaren Griffen;
  3. Führerbremsventil;
  4. Handbremse;
  5. mit Luft betätigter Schlammhahnenzug;
  6. Luftsandstreuer;
  7. Dampfpfeife; .
  8. Geschwindigkeitsmesser (im Führerstand registrierend);
  9. Kesseldruck-Manometer;
  10. Westinghouse-Doppelmanometer;
  11. Speisepumpen-Manometer;
  12. Heizungsmanometer (nur im Führerstand);
  13. Pedal für Auslösung der Luftbremse.
Art. 5.

Der Gepäckraum enthält:

5  Klappsitze;
1  Gefangenenzelle;
1  Schreibpult mit Schriftenfach;
1  Schaffnerbremshahn mit Manometer;
1  Heizungsregulierhebel und
1  

Heizkörper im hintern Führerstand;

Eine Anzahl Velohacken.

Die Fenstergitter können für die Zwecke der Personenbeförderung abgenommen und in der Gefangenenzelle versorgt werden.

Die Seitenschiebtore werden im geschlossenen Zustand durch Herunterlassen der angrenzenden Klappsitze verriegelt; sie sollen bei Personenbeförderung geschlossen bleiben.

Art. 6.
Die Stirnwände sind aüsgerüstet mit der normalen Zug- und Stoßvorrichtung;
Schaufelförmigen Schienenräumern;
Kupplerhandgriffen;
doppelten Westinghouse-Schläuchen;
einer Heizkupplung;
2   elektr. Signallaternen über den Puffern samt Vorsteckgläsern und Signalträgern;
1   elektr. Signallaterne über der Stirntüre mit von innen verschiebbarer, roter Glasscheibe;
1   Tagessignalträger an der Stirntüre.
Art. 7.
Signale: Im Wagenkasten werden mitgeführt:
2   Signalflaggen (rot);
3   Signalscheiben;
1   Büchse mit Knallkapseln;
2   Fackeln.
Art. 8.
Vorräte: Der unter dem Wagenkasten befindliche Wasserbehälter faßt 2000 l Wasser; er ist mit Schwimmer und Zeiger mit Skala bis 1800 l ausgerüstet. Die Fülltrichter befinden sich auf jeder Kastenlangseite und müssen für die Fahrt immer heruntergeklappt und gesichert sein. Der Kohlenkasten faßt 500 kg. Ferner sind vorhanden: Oelkannen, Werkzeug, Feuerwerkzeug, Wassereimer.
[B. Bedienung des Wagens]
Art. 9.
Der Wagen ist für einmännige Bedienung gebaut; der Triebwagenführer hat auf der Fahrt seinen Standort normalerweise immer vorn, d. h. an der Spitze des Zuges, und darf denselben unter keinen Umständen verlassen, solange der Zug in Bewegung ist. Mit der Abfertigung von Fahrgästen, des Gepäckes, oder von Eil- und Stückgut hat sich der Triebwagenführer nicht zu befassen. Es ist ihm untersagt, Fahrgäste oder Zugspersonal während der Fahrt im Führerstand zu dulden. Wird in dringenden Fällen das Verlassen des Führerstandes notwendig, so hat der Führer vorher den Zug zu stellen und mit der Handbremse festzubremsen.
Art. 10.
Für die Signale "Vorwärts" und "Rückwärts" ist die Stellung des Kamines maßgebend. Rückwärts darf nur im Manöver gefahren werden, wenn der Führer den Rangierleiter oder dessen Stellvertreter sehen und ihre Signale mit Sicherheit wahrnehmen kann; das Rangierpersonal ist für die Sicherheit auf dem rückwärts zu befahrenden Geleise verantwortlich. (Siehe auch die diesbezüglichen Bestimmungen im Anhang zum Dienstfahrplan.)
Art. 11.
Das Feuer darf nur bei Stillstand des Triebwagens bedient werden; bei dieser Gelegenheit hat sich der Führer jeweilen genau über Wasserstand und Dampfdruck, sowie über die Stellung der Luftklappen zu vergewissern.
Art. 12.

Im Stillstand darf der Kessel nur vermittelst des Injektors gespeist werden, auf der Fahrt soll die Speisepumpe immer angestellt sein. Der im Langkessel befindliche Schwimmer betätigt ein Ventit, welches den Dampfzutritt zur Speisepumpe freigibt, sobald der Wasserspiegel unter dem zulässigen Maximum steht; sinkt der letztere auf ein bestimmtes Minirnum, so schließt die Ventilstange außerdem einen elektr. Batteriestromkreis, welcher seinerseits in jedem Führerstand eine elektr. Alarmglocke ertönen läßt. Hört der Führer dieses Signal, so hat er dafür zu sorgen daß der Wasserstand auf keinen Fall weitersinkt, ansonst eine Beschädigung der Feuerbüchsdecke erfolgen könnte, was neben erheblichen Kosten eine direkte Explosionsgefahr zur Folge haben kann. Ist die Speisepumpe im Gang, was man auf jedem Führerstand am betr. Manometer sieht, so kann der Führer event. die Fahrt unter stark verminderter Zugkraftleistung, d. h. Iangsam bei gedrosseltem Regulator, jedoch nur für kurze Zeit fortsetzen; die Speisepumpe wird dann den Wasserstand auf gleicher Höhe zu halten vermögen, worauf nach dem Stillstand die Pumpe abgestellt und der Injektor angelassen wird. Arbeitet aber die Pumpe nicht und kann sie der Führer auf der Fahrt nicht anstellen, sei es weil sie defekt ist oder weil der Führer auf der Plattform fährt, so hat er den Zug zu stellen, sobald die Alarmklingel ertönt; dann ist mit dem Injektor der Kessel entsprechend zu speisen, worauf erst weitergefahren werden darf.

Das Speisen des Kessels mit der Speisepumpe während des Stillstandes muß vermieden werden, weil das Wasser durch den Vorwärmer nicht mehr erwärmt wird, sobald der Vorrat an vorgewärmtem Wasser aufgezehrt ist; die Folge ist Undichtwerden der Siederohre, Stehbolzen oder Nietnähte in der Feuerbüchse. Diese Defekte sind um so eher zu befürchten, wenn die Speisepumpe im Gang ist bei gleichzeitig geschlossener Luftklappe, bei ungenüender Feuerung oder während der Reinigung des Feuers. Auch beim Speisen mit dem Injektor ist die Luftklappe offen und die Feuertüre gesehlossen zu halten. Die Einhaltung der Fahrzeit darf den Führer unter keinen Umständen dazu veranlassen, die rechtzeitige Speisung des Kessels zu versäumen.

Art. 13.

Das Zugspersonal ist verpflichtet, dem Führer vor der Abfahrt die Zugsbelastung rechtzeitig zu melden; dies ist zur Einhaltung der in Art. 12 enthaltenen Bestimmungen unerläßlich. Gesehieht dies nicht, so hat der Führer sich darüber selber zu erkundigen; er darf mit dem Zug nicht abfahren, bis Wasserstand und Dampfdruck den bevorstehenden Anforderungen entsprechen.

Art. 14.
Bei jedem Wechsel des Standortes hat der Führer die Griffe des Regulators, der Steuerung und des Führerbremsventiles abzunehmen, und zwar erstere in der geschlossenen Stellung, bezw. in der Mittellage, letzteren aus der Füllstellung, aber erst nachdem er vorher den Abschlußhahn zur Hauptleitung geschlossen hat. Nach dem Aufsetzen des Bremsgriffes ist umgekehrt das sofortige Oeffnen des genannten Hahnes nicht zu vergessen.
Art. 15.
Die Cylinderschmierpresse ist jeden Tag einmal nachzusehen und zu füllen, der Schmierapparat der Luftpumpe nach Bedarf mehrmals im Tag. Alle übrigen Schmierstellen sind im Tag mindestens einmal nachzusehen und zu füllen, diejenigen der Steuerung und des Triebwerkes nach Bedarf öfter. Jedes Warmlaufen ist sorgfältig zu vermeiden, und wenn es trotzdem auftreten sollte, dem Depotchef sofort zu melden. Besondere Aufmerksamkeit ist der Schmierung der Speisepumpe und des automatischen Regulierventils zu widmen.
Art. 16.
Jeden Tag sollen die Rauch- und Siederohre einmal mit dem Dampf-Ausblaseapparat ausgeblasen werden.
Art. 17.
Beide Wasserstände sind beim Dienstantritt zu öffnen, bevor mit der Feuerung begonnen wird; sie sind fortwährend offen zu halten, so lange der Wagen im Dienst steht, und sollen beide genau den gleichen Wasserstand anzeigen und gut spielen.
Art. 18.
Die Sicherheitsventile werden vom Depotchef einreguliert und plombiert: jede Veränderung an der Regulierung ist dem Fahrpersonal verboten. Ungenügendes oder unrichtiges Funktionieren derselben ist sofort zu melden und zu beheben.
Art. 19.
Der Führer ist jeweilen dafür verantwortlich, daß der Vorrat an Sand beim Dienstantritt für die ganze Zeitdauer des Dienstes vorhanden ist, und daß der Sandstreuer richtig funktioniert; desgleichen soll auch bei jedem Dienstantritt die Regulierung und das Funktionieren der Bremsen kontrolliert werden. Der abtretende Führer hat für rechtzeitige Behebung von Mängeln oder Defekten an den Bremsen zu sorgen, Wasser, Kohlen, Sand und Oel fassen zu lassen und über etwa vorkommende Unregelmäßigkeiten dem Depotchef und seinem Nachfolger Meldung zu machen.
Art. 20.
Die Belastungsnorm für den Wagen ist 70 T.; ausnahmsweise kann sie auf 80 T. erhöht werden, was aber bei schlechtem Adhäsionszustand der Schienen tunlichst zu vermeiden ist. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 45 km/h; der Führer ist dafür verantwortlich, daß der registrierende Geschwindigkeitsmesser stets mit dem nötigen Papiervorrat versehen ist und richtig registriert. Beide Geschwindigkeitsmesser sollen miteinander übereinstimmen.
Art. 21.
Für den Fall, daß der Führer während der Fahrt Hülfe nötig hat, sei es daß er eine Verletzung erlitt oder von Unwohlsein befallen wird, so hat er durch Abgabe eines Notsignals (mindestens 4 rasch wiederholte, kurze Pfeifensignale) das Zugspersonal zu alarmieren. Bei Ertönen dieses Signals hat der Zugsbegleiter sich unverzüglich zum Führer zu begeben und ihm behülflich zu sein. Auch im normalen Betrieb haben die Zugsbegleiter auf alle Unregelmäßigkeiten Gang des Zuges, insbesondere das Ueberfahren von Stationen oder übermäßige Geschwindigkeit fortwährend zu achten und sich sofort beim Führer über die Ursache dieser Störung zu erkundigen. Im übrigen gelten alle Vorschriften technischer und fahrdienstlicher Natur für die Lokomotiven und das Fahrpersonal sinngemäß auch für die Bedienung des Triebwagens.

Balsthal, den 24. Juni 1930.

Oensingen-Balsthal-Bahn
Der Betriebsdirektor:
W. Letsch.

Genehmigt durch das eidg. Post- und Eisenbahndepartement mit Schreiben No. 746, 11. J. 3. vom 18. Juni 1930.